Karin Iten, Swiss Olympic
Karin Iten, Swiss Olympic

Wie gelingt Gleichstellung und Diversität im Sport?

Seit 2023 leitet Karin Iten die Fachstelle Gleichstellung und Diversität bei Swiss Olympic. Ihr Ziel: faire Chancen für alle – im Sport, in Führungsfunktionen und darüber hinaus. Im Interview spricht sie über Erfolge, Herausforderungen und warum Gleichstellung kein Sprint, sondern vielmehr ein Marathon ist.

Karin, seit gut zwei Jahren leitest du die neu geschaffene Fachstelle «Gleichstellung und Diversität» bei Swiss Olympic. Was war die Motivation für die Gründung dieser Fachstelle?

Swiss Olympic ist überzeugt, dass Sport Menschen in ihrer Vielfalt stärkt und verbindet. Dazu gehört auch Chancengleichheit auf allen Ebenen – als Teil eines fairen Sports. Die Fachstelle setzt das im Leitbild von Swiss Olympic verankerte Commitment zu Diversität im Sport konkret um und ist eine logische Folge dieser strategischen Ausrichtung. Swiss Olympic will nicht nur sportliche Erfolge fördern, sondern auch das gesellschaftliche Miteinander. Gerade in einer zunehmend polarisierenden Gesellschaft kann Sport dabei Brücken schlagen.

Warum spielt das Thema «Gleichstellung von Frauen im Sport» aktuell eine so zentrale Rolle für die Fachstelle – und ist wichtig für den Sport als Teil der Gesellschaft?

Besonders im Sport besteht grosser Nachholbedarf. Frauen besetzen gerade einmal 14 % der Präsidien der nationalen Sportverbände und in den Vorständen sitzen nur 26 % Frauen (Quelle: Swiss Olympic Verbandsbefragung 2024). Das Ziel ist jedoch eine 40 % Geschlechterquote im Sport.

Auch gesamtgesellschaftlich sind wir noch stark von patriarchalen Strukturen geprägt. Diese Schieflage existiert schon lange und beeinflusst unser Denken bis heute – sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Um dies zu ändern, braucht es gemeinsame Anstrengungen. Wichtig ist, die Gleichstellung systemisch zu betrachten, nicht individuell und ohne sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Ziel ist eine neue Komfortzone, die egalitär, kooperativ und fair ist – auf Augenhöhe. Der Weg ist steil, aber der Sport hat schon Fortschritte erzielt. Gleichstellung ist kein Sprint, sondern vielmehr ein Marathon.

Wenn du auf die letzten zwei Jahre zurückblickst: Welche Meilensteine konntest du setzen?

Wir konnten wichtige Kooperationen aufbauen. Es war uns wichtig vom Wissen und der Erfahrung ausserhalb der eigenen Sportwelt zu profitieren – das bringt neue Impulse und überraschende Lösungsansätze.

Gemeinsam mit der Fachstelle UND haben wir das Programm «Life – Balance» gestartet, das eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf, Sport und Privatleben ermöglicht. Davon profitieren nicht nur Frauen, die häufig unbezahlte Care-Arbeit und bezahlte Arbeit gleichzeitig managen, sondern auch Männer. Am ersten Durchgang nehmen sechs Verbände sowie Swiss Olympic selbst teil – das freut mich besonders, da so zukünftig unterschiedliche Lebensmodelle bei Swiss Olympic stärker berücksichtigt werden.

Mit dem Frauennetzwerk sporti{f} entstand eine Road to Diversity, die zur Selbstreflexion und als Toolbox für Sportorganisationen dient, um Diversität systemisch und nicht nur punktuell anzugehen.

Zudem läuft ein Mentoringprogramm, für ambitionierte Frauen mit (angehenden) Führungsaufgaben, bald in der zweiten Runde – Anmeldungen sind ab jetzt willkommen.

Für 2026 ist eine Kooperation mit Alliance F geplant, um Frauen sichtbarer zu machen, Mythen zu entkräften und Erfolgsgeschichten zu erzählen. Und nicht zuletzt setzen auch Verbände eigene Initiativen und Projekte um, die punktuell aus dem Fördertopf finanziert werden.

Und an welchen Punkten kann die Fachstelle den grössten Unterschied machen: bei Strukturen und Prozessen, mit konkreten Programmen oder durch Sensibilisierung?

Es braucht alles zusammen. Sensibilisierung schafft das nötige Bewusstsein und die Motivation, neue Chancen zu schaffen und auch zu nutzen. Der Blick mit der Roadmap auf Strukturen und Prozesse hilft, das Thema ganzheitlich und strategisch klug umzusetzen. Und konkrete Programme erleichtern es, Schritt für Schritt auf der «Road to Diversity» voranzukommen. Denn nur wer ins Handeln kommt, kann Veränderungen bewirken. Klar ist: Organisationen können nicht alles auf einmal angehen – aber jeder Schritt zählt.

Wo liegen Herausforderungen, Vorbehalte oder Widerstände?

Viele Verbände haben nur begrenzte Ressourcen. Dadurch geraten Gleichstellung und Diversität im Tagesgeschäft leicht in den Hintergrund, obwohl gerade diese Themen viele Probleme lösen könnten. Mehr Vielfalt kann etwa zu zusätzlichen personellen Ressourcen führen, zu einer breiteren Auswahl an Trainer*innen beitragen und neue Vereinsmitglieder aktivieren, wenn bisher unterrepräsentierte Gruppen gezielt angesprochen werden. Wir bieten pragmatische Module an, zum Beispiel mit dem Programm «Life – Balance». So können Verbände direkt in die Umsetzung gehen, ins Handeln kommen, ohne eigene Projekte entwickeln zu müssen.

Ein weiteres Hindernis: Gleichstellung ist oft moralisch oder politisch aufgeladen und kann zu Abwehrreflexen führen. Dabei geht es nicht um Schuld – wir alle sind Teil dieser Strukturen. Gleichstellung ist ein Kulturwandel, den wir gemeinsam gestalten können und bei dem jede und jeder den Ball aufnehmen und den Unterschied machen kann.

Mit Blick in die Zukunft: Wo siehst du die Fachstelle in fünf Jahren? Und welche Aspekte von Gleichstellung und Diversität werden deiner Einschätzung nach künftig noch stärker an Bedeutung gewinnen?

Das Geschlecht ist nur eine von sieben Vielfaltsdimensionen – und die Gleichstellung von Frauen im Sport bleibt ein Kernthema für die Fachstelle. Mein Wunsch ist, dass es in fünf Jahren keine 40 % Quote mehr braucht, weil Frauen in Führungspositionen im Sport selbstverständlich vertreten sind.

Neben der Geschlechterfrage rücken weitere Diversitätsdimensionen stärker in den Fokus: Migrationsgeschichte und Nationalität, Religion und Weltanschauung, soziale Herkunft oder Alter. Auch die Einbindung von Trans-, Inter- und Nonbinären Personen stellt den Sport vor grosse Herausforderungen. Es ist wichtig, dass wir dafür im Breitensport in fünf Jahren tragfähige Lösungen haben und im Leistungssport konstruktive Wege suchen.

Es geht also um die Vielfalt insgesamt. Sport kann hier ein starker Motor sein: Er verbindet, fördert und stärkt – und schafft so gesellschaftlich echten Mehrwert.

Zudem hoffe ich, dass der Schweizer Sport trotz möglicher Rückschläge, wie wir sie aktuell etwa in den USA beobachten, am eingeschlagenen Weg festhält, sich klar für Gleichstellung und Diversität einsetzt und jede Form der Diskriminierung ablehnt. Bleiben wir also am Ball.

09.
Oktober
2025