07.
November
2023

«Sport ist Medizin»

Was macht eigentlich ein Sportarzt? Wie sieht der Alltag einer Sportphysiotherapeutin aus? In der Woche vom 6. November nimmt sich Swiss Olympic Zeit, um die Tätigkeit des Medical Staffs im Sport genauer zu beleuchten – und sich für das grossartige Engagement zu bedanken. Deshalb haben wir mit Sportarzt Roman Gähwiler und Sportphysiotherapeutin Sarah Kershaw jeweils ein Kurz-Interview zu ihrer Tätigkeit geführt.

Interview mit Sportarzt Roman Gähwiler: «Ich liebe diesen Beruf» 

Roman, du arbeitest als Sportarzt und warst als Chief Medical Officer des Swiss Olympic Youth Teams anfangs Jahr am EYOF in Italien – warum hast du diesen Beruf ausgewählt?

Roman: Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich als 14-Jähriger nicht gut genug Fussball spielen konnte, um damit meinen Lebensunterhalt zu meistern. Nein, ernsthaft: Das Privileg als Arzt tätig sein zu dürfen, motiviert mich jeden Tag, wieder und wieder im Sinne des Patienten mein Bestes zu geben. Gerade die Arbeit mit (Leistungs-)Sportler*innen kann sehr erfüllend sein, da dieses Patientenkollektiv Empfehlungen oft bis zur Perfektion umsetzt. Die Resultate, welche dabei beobachtet werden können und was der menschliche Körper zu leisten imstande ist, sind einfach faszinierend. Die Sportmedizin hat derart viele Facetten, welche in mir das Feuer entfachen. Deshalb liebe ich diesen Beruf.

Wie sieht dein Arbeitsalltag als Sportmediziner aus – besonders in Bezug auf die «Feldeinsätze» vor Ort? 

Roman: Die Feldeinsätze sind nur die «Kirsche auf der Torte». Die wirkliche Sportmedizin findet im Rahmen der Sprechstunde unter der Woche statt. Es gab Zeiten, wo ich mehrmals wöchentlich im Stadion oder an Trainings war, Spiele an den Wochenenden betreut habe, und mit Teams an Turniere und Trainingslager ins Ausland gefahren bin. Ich kann mich an ein Jahr mit 18 Auslandflügen für sportmedizinische Betreuungen erinnern. Obwohl ich eine sehr grosse Leidenschaft für die Sportmedizin habe, bin ich der festen Überzeugung, dass man stets einen Fuss auf dem Boden bzw. in der «richtigen» Medizinwelt haben muss.

Du warst in Vergangenheit an Nachwuchsmissionen für Swiss Olympic tätig und wirst auch an den YOG in Gangwong (Südkorea) für uns im Einsatz stehen. Wie sehen deine Aufgaben vor Ort konkret aus?

Roman: Ein Grossteil der Arbeit findet im Vorfeld derartiger Spiele statt. Diese umfassen organisatorische Dinge wie die Zusammenstellung des Medical Teams, die Verwaltung des medizinischen Materials, die Auseinandersetzung mit den lokalen Begebenheiten an den Austragungsorten (Klima, medizinische Versorgungsmöglichkeiten) sowie diverse Vorträge an Informationsveranstaltungen. An den Wettkämpfen selbst bin ich der Teamarzt und zwischen den Wettkämpfen der Hausarzt der Athlet*innen. Dies jeweils an 24 Stunden und während sieben Tagen in der Woche. Zudem bin ich natürlich Teil des Medical Teams, wobei wir Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen uns täglich über medizinische Probleme, Krankheits- und Verletzungsverläufe von unseren Athlet*innen austauschen. 

Welche Rolle und Bedeutung hat der/die Sportärzt*in für die Athlet*innen?

Roman: Ich denke der Sportmediziner ist primär ein Generalist bzw. ein Hausarzt für die Athlet*innen. Das impliziert aber auch, dass man mit dem Athleten oder der Athletin ein intensives Vertrauensverhältnis aufbaut. Das oberste Ziel dieses Vertrauensverhältnisses ist es, seine/ihre psychische und physische Gesundheit zu schützen. Du bist als Sportmediziner der Anwalt deines Sportlers/deiner Sportlerin und du musst immer seine/ihre geistige und körperliche Gesundheit beschützen. Dies ist insbesondere im Leistungssport wichtig, wo diverse Interessensgruppen auf die Athlet*innen einwirken. Gerade deshalb ist es als Sportmediziner umso wichtiger, im medizinischen Berufsleben nicht vom Sport «abhängig» zu sein. Ansonsten läufst du Gefahr, ebenfalls eine «Interessensgruppe» zu werden, welche nicht ausschliesslich das Wohl deines/deiner Athleten/-in im Fokus hat. 

Was motiviert dich an der Arbeit mit Athlet*innen?

Roman: Alles! Ich bin der festen Überzeugung, dass Sport/Bewegung eine der besten medizinischen Massnahmen darstellt. Sport ist Medizin. Die Arbeit mit Leistungssportler*innen zeigt mir immer wieder, zu was der menschliche Körper (und Geist) fähig sind. Das lässt sich direkt in meinen Arbeitsalltag als Gefässspezialist transformieren. Menschen, die aufgrund einer Oberschenkel-Arterien-Verengung und krampfartigen Wadenschmerzen nach einer Gehstrecke von 300m trotzdem noch jeden Tag ihr Gehtraining machen, sind für mich genauso Leistungssportler. Für diese kranken Menschen, welche die Herausforderung von «Sport ist Medizin» annehmen, habe ich allerhöchsten Respekt!

Interview mit der Physiotherapeutin und ehemaligen Basketballspielerin Sarah Kershaw: «Ich interessiere mich brennend für den menschlichen Körper» 

Sarah, du arbeitest als Physiotherapeutin – warum hast du diesen Beruf gewählt?

Sarah: Ich interessiere mich brennend für den menschlichen Körper und dafür, wie er funktioniert. Als Sportlerin habe ich mich schon früh mit meinem eigenen Körper befasst: mit seinen Stärken, aber auch mit seinen Grenzen und Schwächen. Ich hatte verschiedene (kleinere und grössere) Verletzungen, die mich dazu veranlasst haben, einen Physiotherapeuten aufzusuchen. Diese Behandlungen haben mir einfach Lust darauf gemacht, ebenfalls diesen Beruf zu ergreifen und anderen Menschen zu helfen, so wie meine Physiotherapeuten mir geholfen haben. Ich mag den Umgang mit Menschen, das Teilen, das Einfühlungsvermögen, das man an den Tag legen muss, und all das, was ein Therapeut seinem Patienten geben kann ... was manchmal über die Rehabilitation hinausgeht.

Neben der Arbeit in der Praxis bist du auch direkt vor Ort (z. B. für Swiss Basketball bei den European Games in Krakau). Wie sieht dein Arbeitsalltag als Physiotherapeutin aus – vor allem im Hinblick auf die «Behandlungen vor Ort»?

Sarah: Bei den Turnieren besteht meine Aufgabe darin, die Athlet*innen in die Lage zu versetzen, bei den Spielen ihre volle Leistung abzurufen. Ich behandele kleine Probleme, die eventuell vorliegen, ich bringe Tapes an und begleite die Athlet*innen beim Aufwärmen und der Regeneration (Massagen usw.). Während der Spiele selbst musste ich noch nicht viel tun, aber man muss ständig präsent sein, damit man bei Bedarf vor Ort helfen kann. 

Darüber hinaus betreue ich das ganze Jahr über eine Basketballmannschaft. Das Centre National de Basket Suisse (CNBS) ist in Lausanne. Ich besuche die Mannschaft einmal pro Woche, um die Spieler zu sehen, ihnen Ratschläge zu geben, Verletzungsprävention zu betreiben und sie an einen Sportarzt weiterzuleiten, wenn ich der Meinung bin, dass sie aufgrund einer Verletzung umfassende physiotherapeutische Betreuung benötigen. Gelegentlich gehe ich auch zu den Spielen.

Als Basketballspielerin kennst du sowohl die sportliche Seite als auch die des medizinischen Stabs. Welche Rolle spielen die Sportmediziner*innen für die Athlet*innen und wie wichtig sind sie?

Sarah: Die Sportmediziner*innen spielen sowohl für Athlet*innen als auch für Physiotherapeut*innen eine sehr wichtige Rolle. Wir arbeiten bei Entscheidungen eng mit ihnen zusammen. Sie sind der Ansprechpartner und dank ihres medizinischen Fachwissens können sie die Athlet*innen währen ihrer gesamten Laufbahn begleiten. Ob es nun um ihrer Wettkampftauglichkeit, die Verletzungsnachsorge usw. oder auch um Ratschläge zur Verletzungsprävention geht.

Was motiviert dich bei deiner Arbeit mit Athlet*innen?

Sarah: Durch die Arbeit mit den Athlet*innen habe ich weiterhin eine Einbindung in die Welt des Sports, die ich so sehr liebe, und kann in gewisser Weise zur Entwicklung des Sports beitragen. Das ist schwierig, denn die Athlet*innen sind Perfektionisten und jedes noch so kleine Detail ist wichtig. Das Streben nach Spitzenleistungen ist etwas, das dem Athleten innewohnt, und Physiotherapeut*innen leisten mit ihrer Arbeit einen Beitrag, indem sie ihn bei seinem Erfolg unterstützt. Dies erzeugt auch eine Art von «Druck» und lässt mich den Wettkampfgeist spüren, den immer noch in mir habe. Ich trage gerne zum Wohlergehen anderer, zur Verletzungsprävention und zur Rehabilitation bei – und genau darum geht es bei den Athlet*innen. Sie sind für die Arbeit, die wir leisten, äusserst dankbar und das ist auch sehr schön. Am Spielfeldrand zu stehen, versetzt mich in meine eigene Wettkampfzeit zurück. Ich spüre das Adrenalin und die emotionale Achterbahnfahrt und das ist auch der Grund, warum ich mir Zeit für meine Arbeit nehme und mit den Teams zu Wettkämpfen fahre!